Anne auf Green Gables habe ich zusammen mit den zwei Folgebänden
Anne in Avonlea und
Anne in Kingsport im Frühjahr 2012
auf dem Flohmarkt unserer Bücherei erstanden. Schließlich wollte ich zumindest den ersten Band schon ewig lesen, es
konnte also gar nicht so verkehrt sein, die Bücher mal Zuhause zu haben.
Die Gelegenheit dafür kam dann auch relativ schnell (angesichts der Größe meines SuBs sind eineinhalb Jahre
Verweildauer wirklich nicht so tragisch!), denn als ich nach
Der Hobbit nach dem nächsten Buch
für die
Bücher,
die man gelesen haben muss - Challenge gesucht habe, habe ich gesehen, dass auch
Anne auf
Green Gables auf der Liste steht und beschlossen, endlich diese Wissenslücke zu schließen.
Eigentlich wollten Marilla und Matthew Cuthbert, ein alterndes Geschwisterpaar, einen Jungen adoptieren, der ihnen auf ihrer
Farm Green Gables zur Hand gehen kann. Stattdessen wartet am Bahnhof ein kleines, dünnes, rothaariges Mädchen
auf sie: Anne Shirley. Der gutmütige, schüchterne Matthew schließt die plappernde, altkluge Kleine sofort ins Herz
und auch die wesentlich strengere Marilla bringt es dann doch nicht über sich, Anne, die sich so darüber gefreut hat,
endlich ein richtiges Zuhause zu bekommen, zurück ins Waisenhaus zu schicken. Also darf Anne auf Green Gables bleiben.
Wo sie mit ihrer fröhlichen, positiven Art eine Bereicherung für die älteren Leutchen ist, allerdings auch manchmal
eine Geduldsprobe für Marilla, denn Anne trägt ihr temperamentvolles Herz auf der Zunge und scheint darauf programmiert,
kein Fettnäpfchen auszulassen...
→
Komplette Inhaltsangabe
"Du stopfst dein Zimmer sowieso schon viel zu voll mit Dingen, die eigentlich nach draußen gehören. Schlafzimmer
sind dazu da, daß man in ihnen schläft, Anne."
"... und träumt, Marilla! Je schöner die Umgebung, desto schöner auch die Träume." (Seite 109)
Anne auf Green Gables gehört zu den Kinderbuch-Klassikern, die es immer geschafft haben,
mir durch die Finger zu schlüpfen, bei denen ich irgendwie nie dazu gekommen bin, sie zu lesen. Trotzdem gehört Anne
zu meiner Kindheit, denn es gab eine Fernsehserie, die wir geschaut haben, als ich klein war. An ein paar Szenen daraus kann ich
mich sogar noch erinnern, zum Beispiel daran, wie der Lehrer Annes Namen falsch an die Tafel schreibt und sie trotzig das "Ann"
um ein "e" ergänzt (die Stelle gibt es allerdings nicht im Buch) - oder wie sie ihre Schiefertafel auf Gilberts Kopf zerbricht.
Jedenfalls hatte ich schon seit Jahren mit dem Gedanken gespielt, das Buch lesen zu wollen (aber natürlich war es nie wichtig
genug, als dass ich es auch nur annähernd ernsthaft versucht hätte), weshalb ich mich richtig darüber gefreut habe,
endlich zu meinem Glück "gezwungen" worden zu sein.
Erwartungen hatte ich nicht wirklich, bzw. keine wirklich hohen, habe ich bei Klassikern und Kinderbüchern (separat oder in
Kombination) ja eigentlich nie (oder nur sehr selten), deswegen war ich fast schon richtig platt, wie entzückt ich von
Anne auf Green Gables war!
Zwei Dinge (oder vielleicht auch zweieinhalb) haben es mir an der Geschichte besonders angetan:
1. Die wundervolle gute-alte-Zeit-Stimmung
Der erste
Anne-Band ist 1908 erschienen und ich denke, dass die Geschichte auch zu dieser
Zeit spielt - Anfang des 20. Jahrhunderts. Es gibt (zumindest auf dem Land) keinen Strom, also auch keine elektrischen Geräte,
die Leute benutzen Pferdekarren zur Fortbewegung und überhaupt ist das Leben einfach und nicht direkt arm, aber definitiv
sehr bescheiden. Es gibt im Gegensatz zu einigen anderen Kinderbuch-Klassikern, die ich gelesen habe (wie die Narnia-Reihe,
Ballettschuhe oder auch
Der
geheime Garten) keinen Krieg, der aus dem Hintergrund dunkle Schatten wirft, wobei das natürlich auch am Schauplatz
liegen könnte. Das auf Prince Edward Island (einer Insel im Atlantik) liegende Avonlea ist auf jeden Fall ein herrlich idyllischer
Handlungsort, in dem ich mich wahnsinnig wohlgefühlt habe. Schade, dass man da nicht Urlaub machen kann. (Das heißt,
kann man schon, aber ich glaube nicht, dass das reale Green Gables in Sachen Ruhe und Abgeschiedenheit viel mit der
Buch-Version gemeinsam hat...)
2. Anne Shirley
Wow, was ist Anne für ein Wirbelwind! Mit ihr hat die Autorin wirklich eine Figur erschaffen, die es verdient hat, über
Jahrzehnte hinweg bekannt zu sein und geliebt zu werden. Im Vergleich mit ihr verblasst ein Großteil der Figuren anderer
Kinderbuch-Klassiker! Anne ist eine unheimlich charmante Mischung aus altklug, lebhaft/sprunghaft, fantasievoll, romantisch
und theatralisch. Sie hat keinen einzigen unehrlichen Knochen im Leib und sagt immer ehrlich ihre Meinung, auch wenn das
manchmal nicht ganz so gut ist. Wenn sie mal nicht ununterbrochen plappert (das auf so vornehme Art, dass die einfachen
Leute von Avonlea immer mal wieder das Gefühl haben, von ihr veräppelt zu werden), neigt sie zu Tagträumen
und vergisst darüber auch manchmal ihre Arbeit. Anne reagiert mit Begeisterung auf Dinge wie einen schönen
Sonnenaufgang oder einen blühenden Apfelbaum und ist so lebensbejahend und positiv, dass man sich wünscht, nur
ein bisschen wie sie sein zu können und sich - ja, das klingt jetzt klischeehaft - auch so an den einfachen Dingen des
Lebens erfreuen zu können.
Allerdings neigt Anne dazu, in Fettnäpfchen zu treten und kleinere Katastrophen anzuziehen, worauf sie mit dem ihr eigenen
Überschwang und Theatralik reagiert, letztendlich kann aber nichts ihre Lebensfreude dämpfen.
Anne hat also mein Herz erobert und genauso geht es auch den anderen Figuren der Geschichte - und die sind der zweieinhalbte
Punkt auf meiner Liste. Marilla und Matthew sind Annes Familienersatz und beide auf ihre Weise liebenswert. Marilla kann ihre
Gefühle nicht so gut zeigen und geht deshalb eher schroff mit Anne um, obwohl sie sie von Herzen liebt, während
Matthew, der normalerweise so scheu ist, dass er in Gegenwart von Frauen kein Wort rausbringt, ganz vernarrt in sie ist und sie
auch mal ein bißchen verwöhnt, z.B. dafür sorgt, dass sie ein schönes Kleid zu Weihnachten bekommt.
Man muss ihn einfach gern haben!
An dieser Stelle muss ich mal einen kurzen Gedankensprung machen. Einige Dinge, die in der Geschichte passieren, muten in
der heutigen Zeit doch etwas merkwürdig an. Zum Beispiel, dass ein älteres Geschwisterpaar einfach so ein Kind
adoptieren kann und noch nicht mal persönlich erscheinen muss, um es abzuholen. War das damals wirklich so oder ist
das die Vereinfachung eines Kinderbuchs? Oder dass Anne innerhalb eines Jahres ihr Studium beendet hat und damit mit 16
Jahren (!) bereit ist, Schulkinder zu unterrichten. Es gab da so ein paar Stellen, an denen ich mir leicht irritiert
huh?
gedacht habe. Im Endeffekt habe ich so was dann aber einfach mal unter Nostalgie abgelegt.
So, aber zurück zu den Nebenfiguren. Annes beste Freundin Diana bleibt eher blass, sie hat nicht mehr Funktion, als Annes
Spielkameradin und Vertraute zu sein. Und dann gibt es ja noch den gutaussehenden Gilbert Blythe, der Anne schon bei ihrem
ersten Treffen mit einer Bemerkung über ihre Haarfarbe tödlich beleidigt. So sehr er sich entschuldigt, Anne hat ihm
auch nach Jahren nicht verziehen und der arme Gilbert hat mir mit der Zeit doch ziemlich leid getan. (Da ich in dieser Hinsicht
aber auch noch eine leichte Erinnerung an die Fernsehserie hatte, habe ich mich allzu gegrämt.)
Die Geschichte folgt Anne durch die Zeit zwischen ihrem 11. und 17. Geburtstag und erzählt kapitelweise kurze Episoden
aus ihrem Leben. Der Großteil davon besteht aus den kleinen Katastrophen und Unglücken, die sie unwillentlich immer
wieder auslöst, die Zeit nach ihrem Schulabgang in Avonlea (ist das übrigens nicht ein toller Name für ein
Dörfchen?) bis zu ihrem Studienabschluss wird dann vergleichsweise schnell abgespult. Das Ende ist mehr oder weniger
offen, da man mit diesem Buch ja nur den ersten Abschnitt in Annes Leben bewältigt hat. Da kommt eindeutig noch mehr.
Mein Flohmarkt-Exemplar ist eine Ausgabe von Loewe aus dem Jahr 1986 und dafür noch ziemlich gut in Schuss. Das
Papier ist angenehm dick und das Buch verströmt diesen Altes-Papier-Duft, den ich so liebe!
Die Illustration auf dem Cover, die Anne vor Green Gables zeigt, ist schön nostalgisch und passt wunderbar zum Inhalt und
zur Stimmung der Geschichte. Der Klappentext ist allerdings nicht so gelungen: er besteht darauf, dass Anne 13 ist, dabei
ist sie definitiv elf Jahre, als sie zu Marilla und Matthew kommt. Der innere Klappentext ist außerdem viel zu ausführlich
und spoilert Ereignisse, die erst ganz am Schluss stattfinden. Das stärkt mal wieder meine Überzeugung, Klappentexte
immer erst dann anzusehen, nachdem ich das Buch gelesen habe...