Der mysteriöse (und etwas zwielichtige) Jay Gatsby gibt in seinem herrschaftlichen Haus in einem Vorort New Yorks rauschende und ausschweifende
Feste, bei denen sich die Reichen und Berühmten die Klinke in die Hand geben (manche, ohne ihren Gastgeber überhaupt kennengelernt zu haben).
In diesen Dunstkreis gerät auch Nick Carraway, der nebenan wohnt und in der Stadt als Börsenmakler arbeitet.
Er freundet sich mit Gatsby an (jedenfalls so weit, wie man sich mit einem so zurückhaltenden Mann anfreunden kann) und erkennt schließlich, dass
dieser mit seinen Festen und der Zurschaustellung seines Reichtums eine bestimmte Absicht verfolgt. Er versucht eine bestimmte Frau auf sich aufmerksam zu
machen: Daisy Buchanan, die zufällig eine Cousine zweiten Grades von Nick ist. Gatsby und Daisy waren vor einigen Jahren ein Paar, doch dann zog
Gatsby in den ersten Weltkrieg und Daisy heiratete Tom Buchanan, einen reichen Erben und ehemaligen Sportler.
Gatsby ist fest davon überzeugt, die Vergangenheit wiederholen und Daisy zurückgewinnen zu können... (Aber da dieses Buch nicht zu den
Liebesromanen gezählt wird, ist klar, dass das so nicht funktionieren wird...)
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Komplette Inhaltsangabe
Es herrschte schon Hochsommer auf den Dächern der Raststätten und vor den Tankstellen am Straßenrand, wo neue rote Zapfsäulen
inmitten von Lichtlachen standen, und als ich mein Grundstück in West Egg erreicht hatte, fuhr ich den Wagen in seinen Verschlag und setzte mich eine
Weile auf eine Rasenwalze, die jemand im Garten hatte stehenlassen. Der Wind war abgeflaut und einer lauten, hellen Nacht gewischen, erfüllt vom
Flügelschlagen in den Bäumen und einem anhaltenden Orgelton aus dem Blasebalg der Erde, der den Fröschen Leben einblies. Die Silhouette
einer Katze hutschte über das Mondlicht, und als ich den Kopf wandte, um ihr mit den Augen zu folgen, entdeckte ich, dass ich nicht allein war - kaum
zwanzig Meter von mir entfernt war eine Gestalt aus dem Schatten der Nachbarvilla getreten und betrachtete, die Hände in den Hosentaschen, den
silbernen Sternenpfeffer. (Seite 34/35)
Der große Gatsby gehört mal wieder zu den Klassikern, mit denen ich nicht viel anfangen kann. Das sieht man
schon allein daran schön, dass ich für das Büchlein (224 Seiten plus einem 24-seitigen Nachwort) zwei Anläufe und ganze zehn Tage
gebraucht habe, obwohl wirklich nicht viel an ihm dran ist.
Die Geschichte wird zwei Jahre später rückblickend vom Ich-Erzähler Nick berichtet, der die drei Monate Handlungszeitraum ordentlich
zusammenkürzt und nicht vollkommen chronologisch erzählt, sondern ab und an Erklärungen einschiebt (das nur zur Info). Den
titelgebenden Gatsby lernt man übrigens erst auf Seite 64 kennen, was ich doch etwas spät fand, dafür, dass das Buch nicht gerade ein
Schwergewicht ist (vielleicht ein Kunstkniff, um ihn anfangs so richtig mysteriös zu machen und die Spannung auf ihn zu schüren?).
Die Zeit, zu der die Geschichte spielt, ist mir sehr fremd und mein Interesse an den "Roaring Twenties" hält sich auch ziemlich in Grenzen. Am
einprägsamsten waren für mich Gatsbys Partys, die mit ihrem verschwenderischen Luxus und der Oberflächlichkeit und Lasterhaftigkeit
ihrer Besucher faszinierend und abstoßend zugleich sind.
Allerdings hat beim Literaturkreis-Treffen eine der Mitleserinnen betont, wie sehr für sie die Bilder von Edward Hopper und die Beschreibungen von
F. Scott Fitzgerald im Einklang sind - vor allem
dieses Bild, das direkt einer
Beschreibung von Wilsons Tankstelle entsprungen sein könnte. Mit meinem Kunstverständnis ist es ja nicht weit her, aber ich mag die
Atmosphäre von Edward Hoppers Bildern und als ich das Buch nach dem Treffen zum zweiten Mal in Angriff genommen habe, hatte ich diesen
Vergleich im Hinterkopf und interessanterweise hat das die Stimmung, die die Geschichte für mich ausgestrahlt hat, positiv beeinflusst und sie ein
bisschen wärmer und nostalgischer gemacht.
Der Schreibstil ist meistens einfach und geradlinig (wie man im Nachwort lesen kann, war das vom Autor auch so beabsichtigt), allerdings gibt es immer wieder
Stellen, an denen er plötzlich sehr metaphorisch und umschreibend wird und diese Ausreißer haben mich doch ehrlich gesagt ziemlich irritiert.
Zum Beispiel als der Leser Daisy und Jordan kennenlernt:
Der einzig vollkommen unbewegliche Gegenstand im Raum war eine riesige Couch, auf der zwei junge Frauen schwebten wie in einem verankerten
Fesselballon. Sie waren beide ganz in Weiß gekleidet, und ihre Röcke schwangen und flatterten, als wären sie nach einem kurzen Flug ums
Haus eben erst wieder hereingeweht worden. (...) Dann ertönte ein Knall - Tom Buchanan hatte die hinteren Türen geschlossen -, der im Zimmer
gefangene Wind erstarb, und die Vorhänge und die Teppiche und die zwei jungen Frauen sanken langsam zur Erde. (S. 20)
Mit Ausnahme von Nick, der der ruhende Pol und die Stimme der Normalität der Geschichte ist, fand ich die Figuren eher unsympathisch. Vor allem den
rücksichtslosen Tom und seine Geliebte Myrtle. Für ihn ist es vollkommen okay, Affären am laufenden Band zu haben, aber bei seiner Frau
sieht das natürlich ganz anders aus. Aber auch Daisy gewinnt keinen Blumentopf, dafür ist sie zu oberflächlich - und ihr Verhalten am Ende
der Geschichte ist einfach unverzeihlich.
Gatsby macht in meinen Augen eine ganz schöne Wandlung durch und es ist schon interessant, wie der Autor das hinbekommen hat. Anfangs wirkt er
(also Gatsby, nicht der Autor) dadurch, dass man so wenig und wenn dann nur Vages über ihn erfährt, geheimnisvoll und interessant. Nick beschreibt
ihn anziehend und charismatisch und so bin ich wie er auch ein wenig Gatsbys Zauber verfallen, der ihn zunächst so
groß wirken lässt,
wie es der Titel des Buchs verspricht. Und wie er Daisy verehrt und sein ganzes Streben nur darauf ausgelegt hat, ihr wieder nahe zu kommen, ist doch ziemlich
romantisch (und wäre eine tolle Grundlage für einen Liebesroman!).
Doch dann beginnt Gatsbys Zauber zu schwinden und seine schimmernde Rüstung bekommt Beulen. Mal abgesehen davon, dass der Leser nie sicher
erfährt, womit Gatsby sein ganzes Geld macht, wird mit der Zeit immer deutlicher, dass er selbst ziemlich egozentrisch und selbstverliebt ist und sein Leben
auf einer Wunschvorstellung, einem Luftschloss aufgebaut hat, das wenig mit der Realität zu tun hat. Und er letztlich dazu verurteilt ist, zu scheitern.
Wäre das Buch ein Liebesroman gewesen, hätte es mir wahrscheinlich besser gefallen. Aber es rangiert eher unter Drama, das Ende ist in mehrerlei
Hinsicht traurig und desillusionierend - und ich mag einfach keine Geschichten, die kein Happy End haben. (Das war wahrscheinlich auch der Grund, warum ich
so lange dafür gebraucht habe...).
Am interessantesten war da ehrlich gesagt noch das ausführliche Nachwort von Paul Ingendaay. Er gibt einen kleinen Einblick in Fitzgeralds Charakter, sein
Leben, sein Schreiben, seine Zeit und den Entstehungsprozess des Buchs, geht aber auch auf einzelne Szenen und Sätze ein und erklärt Be- und
Andeutungen, die mir nie in den Sinn gekommen wären. Besonders faszinierend fand ich den Hinweis, dass der Leser vollkommen abhängig von Nick
und seiner Lesart der Ereignisse ist und keinen objektiven Bericht erhalten hat. Das ist ja eigentlich vollkommen klar, ist mir aber nie so direkt bewusst geworden!
In dieser Hinsicht wäre es vielleicht auch mal ganz interessant, dem Buch mit einer Interpretationshilfe zu Leibe zu rücken (wobei es aber sehr
unwahrscheinlich ist, dass ich das jemals machen werde...).
Wie man sieht, ziert das Cover der Ausgabe, die ich gelesen habe, das Plakat der 2013er Neuverfilmung von Baz Luhrmann. Da ich mir das Buch nicht dauerhaft
ins Regal stellen werde, war mir das Cover ehrlich gesagt ziemlich egal (bevor Petra mir das Taschenbuch geliehen hat, habe ich mit dem Gedanken gespielt, mir
das englische e-Book runterzuladen und DAS hat ja wohl ein richtig scheußliches Cover!) und es hat mich auch nicht gestört, beim Lesen ständig
Leonardo di Caprio vor der Nase zu haben, obwohl ich kein allzu zu großer Fan von ihm bin. (Eher im Gegenteil: beim Lesen bin ich direkt neugierig auf den
Film geworden, weil ich mir vorstellen kann, dass Leonardo di Caprio sich ziemlich gut als Jay Gatsby macht. Und auch Joey Maguire als Nick finde ich eine
passende Besetzung.)